Im Vorfeld des 2. Weltkrieges

Eigentlich sollte mein Vortrag mit dem Einmarsch in Polen beginnen, dem geschichtlich festgestellten Beginn des 2. Weltkrieges. Aber es ist wichtig, daran zu erinnern, dass es dazu eine Vorgeschichte gab, die über ein Jahr früher beginnt. Da ist zunächst der Einmarsch deutscher Truppen in Österreich am 12.März 1938 zu erwähnen, als Hitler seine Heimat „Heim ins Reich“ holte. Die deutschen Truppen wurden von den Österreichern willkommen geheißen und bejubelt. Das Ganze verlief kampflos. Die Regierung wurde einfach abgesetzt. Zuvor hatte sich eine nationalsozialistische Bewegung gebildet, die diese Eingliederung nach Deutschland gefördert und gefordert hatte. In einer Volksabstimmung bestätigten die Österreicher diese Wiedervereinigung mit 99,75 %.
Am Rande erwähnt sei, dass ich 30 Jahre später in Österreich im Wintersport war und am Radio an diesem Jahrestag eine Predigt des Wiener Kardinals Innitzer erlebte, der diesen damaligen Anschluss lobend erwähnte.

Dann gab es am 29.9.1938 das Münchner Abkommen mit den Regierungschefs Mussolini von Italien, Chamberlain von Großbritannien und Daladier von Frankreich, die gestatteten, dass die Tschechoslowakei das Sudetenland an Deutschland abtreten sollte. Man muss wissen, dass die Tschechoslowakei durch den Versailler Vertrag nach dem 1. Weltkrieg neu gebildet worden war und aus vielen ethnischen Gruppen bestand, die sich nicht „grün“ waren und die deutsche Minderheit die Größte war. Auch hier hatte sich eine Partei, sogar ein Freikorps gebildet, das mit Macht auf diese Eingliederung hingewirkt hatte. Das Sudetenland kam am 1. Oktober 1938 nach Deutschland. Hitler brach das Münchner Abkommen marschierte ein halbes Jahr später am 15.3.1939 in die Tschechei ein, das ehemalige Böhmen und Mähren. Nicht ganz kampflos. Aus der Tschechei wurde das „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“: Die Slowakei blieb unangetastet. Die Westmächte tobten und machten mobil, sonst nichts.

Das nächste Ziel war der Versuch, mit Polen eine Verbindung zu dem nach dem 1. Weltkrieg abgetrennten Ostpreußen zu schaffen, den sogenannten „Korridor“. Gestattet wurde lediglich eine Eisenbahnverbindung mit dem Reich, allerdings in geschlossenen Eisenbahnzügen. Vor dem 1. Weltkrieg gehörten Danzig, Westpreußen und die Provinzen Posen und Bromberg zu Deutschland. Polen war nicht zu weiteren Zugeständnissen bereit, drohte sogar Ostpreußen zu erobern. Die beiden Außenminister Deutschlands und Russland, Ribbentrop und Molotow schlossen am 22. August 1939 einen Nichtangriffspakt. Der Krieg mit Polen konnte also beginnen. Wie die Tschechoslowakei war auch der Staat Polen erst durch den Versailler Vertrag geschaffen worden.

Inzwischen hatte Polen mit Großbritannien und Frankreich einen Beistandspakt geschlossen. Das war der Haken. Aber Hitler war immun.

 

Der Zweite Weltkrieg

Am 1. Sept. 1939 begann der 2. Weltkrieg mit dem Einmarsch in Polen. Damals hatten wir einmal im Monat im Saale Emunds einen Filmabend mit der Wochenschau, aus der wir den Siegeszug der deutschen Soldaten in Polen verfolgen konnten. Nach 27 Tagen war der Polenfeldzug zu Ende. Meist waren es polnische Kavallerieverbände, die gegen die deutschen Panzer anritten. Und die erstmalig eingesetzten Stukas waren unsere wichtigste Waffe.
Unmittelbar nach Ende dieses Feldzuges wurden die deutschen Truppen in den Westen verlegt. Wegen des Beistandspaktes mit Polen rechnete man mit der Fortsetzung des Krieges im Westen. Schon lange vorher hatte Frankreich an der Grenze zu Deutschland die unüberwindbare Maginotlinie errichtet. Es war eine geschlossene Festung. Deutschland hatte mit dem Westwall geantwortet, dessen Reste, Bunker und Panzerzähne, hier und da noch sichtbar sind.

Die ersten Truppen wurden in den Westen verlegt.
Schon Anfang Oktober hielten Soldaten in Schleiden Einzug. Zwei Hamburger Pioniere waren bei uns im Quartier. An jedem Abend nahm Hugo Gärtner, einer der beiden Hamburger sich Zeit für mich. Schon recht bald kannte ich alle Länder Europas und ihre Hauptstädte, und es wurde gerechnet. Ich war noch keine zehn Jahre alt. Mir haben die Wochen mit Hugo sehr viel gebracht. Ich schätze, dass sie nur sechs Wochen bei uns waren, bevor sie nach Aachen verlegt wurden. Hugo kam dann an jedem Sonntag zu uns.

Die Hamburger Pioniere wurden durch eine Artillerie-Abteilung abgelöst, die mit riesigen Raupenschleppern und 30,5er Mörser nach hier verlegt wurden. Der größte Teil der Einheit baute auf Gymnichs Hauswiese ein stabiles Barackenlager. Im Frühjahr 1940 kurz vor dem Frankreich-Feldzug, der am 10. Mai begann, bauten sie in der Sandgrube auf dem Gelände des jetzigen Sportplatzes zwei ihrer Mörser auf. Ein solches Steilfeuer-Geschütz bestand aus drei zusammengehörigen Teilen. Als erstes musste die Basis, die sogenannte Bettung, in den Boden eingelassen werden. Auf diese wurde dann der schwerste Teil, die Lafette geschoben. Als letztes wurde der Rohr-Wagen herangefahren und das Rohr in die Lafette geschoben. Der Aufbau eines solchen Geschützes brauchte schon ein paar Stunden. Die mächtige Granate wog immerhin 6 Zentner. Für uns Jungen war das Ganze sehr interessant, zumal die Einheit auch mal einen Tag der offenen Tür veranstaltete, an dem wir unsere Nasen überall hineinstecken durften. Ich erinnere mich daran, dass ich mit einem Maschinengewehr schießen durfte.
Bei uns im Quartier lag ein Unteroffizier. Später kamen noch einige Kradfahrer hinzu. Es waren überwiegend Schlesier. Abends spielte einer Mundharmonika, die anderen sangen schwermütige Lieder.

 

Aktion Weserübung

Noch bevor der Westfeldzug begann, gab es die sogenannte Weserübung. Damit ist der Überfall auf Norwegen und Dänemark umschrieben.
Unser Eisenerz bezogen wir aus Nordschweden. Über Eisenbahn wurde es nach dem norwegischen Hafen Narvik gebracht und von hier aus per Schiff nach Deutschland. Anfang April 1940 versuchten die Engländer, uns diesen Weg abzuschneiden und setzten ihre Marine in Marsch. Zunächst wurden einige Häfen vermint. Es kam auch zu Seekriegshandlungen, bei denen beide – wir und auch die Tommys dicke Pötte verloren. Gleichzeitig landete eine Gebirgsjägerdivision in der Nähe von Narvik, die sich über längere Zeit gegen zahlenmäßig überlegene englische Bodentruppen zu wehren hatte. Auch die Norweger waren mit der deutschen Besetzung nicht einverstanden und leisteten militärischen Widerstand im Gegensatz zu den Dänen. Trotz der Überlegenheit gaben die Engländer nach einiger Zeit auf, und Deutschland konnte den Erzhafen besetzen und nutzen.

 

Der Kampf im Westen begann am 10. Mai 1940

Kurz vor Beginn des Westfeldzuges kamen noch zwei Infanteristen zu uns, beides Offiziersanwärter. Beide sind schon bei ihrem ersten Einsatz um Eben Emael, einem Fort der Festung Lüttich gefallen.

Für die Franzosen kam unsere Taktik überraschend. Unsere Truppen umgingen die Maginotlinie und marschierten über Belgien und die Niederlande bis zur Normandie und von hier mit schnellen Panzerverbänden in südliche Richtung. Bereits am 14. Juni war Paris genommen. Am 21. Juni war Waffenstillstand.
Wenige Tage vorher – die Franzosen waren schon geschlagen, griffen auch die Italiener in den Krieg ein, sozusagen als „Erntehelfer“. Sie hatten keinen einzigen militärischen Erfolg gegen den bereits geschlagenen Gegner.

Ansonsten merkten wir auch nach dem 10. Mai 1940 vom Krieg nichts, noch nichts, ausgenommen die Meldungen über die Siege gegen unseren Erbfeind.
Auch dieser Krieg war schnell beendet, offiziell am 25. Juni.
Die britischen Truppen kehrten über den Kanal fast unversehrt nach Hause zurück.
Mit Großbritannien ging der Krieg weiter, aber nur in der Luft. Wir bombardieren viele Städte, die aber auch unsere, später sogar mit Hilfe der Amerikaner.

An allen Ecken geht der Krieg weiter. Im Juni 1940 besetzt die Sowjetunion Litauen – bis an die Grenze zu Ostpreußen, danach Estland, Lettland und das östliche Polen.

Auch die Italiener wollen militärische Erfolge: von Albanien aus greifen sie Griechenland an, werden zurückgeworfen und bitten Deutschland um Hilfe. Folge: Deutsche Truppen kämpfen auch noch in Griechenland, nehmen Kreta mit Luftlandetruppen ein und kämpfen ab April 1941 auf dem gesamten Balkan, dem späteren Jugoslawien.

Zuvor, ab Februar 1941 mussten wir den Italienern in Nordafrika zu Hilfe eilen mit Rommels Afrikakorps, welches bis zur ägyptischen Grenze vordringt.

Wegen dieser von Hitler ungewollten Hilfseinsätze, die Tausende deutscher Truppen banden, musste der vorgesehene „Fall Barbarossa“ verschoben werden. Die Briten verstärkten ihre Streitkräfte. Und als im April/Mai 1943 die Amerikaner in Nordafrika landeten, mussten sich die deutschen Truppen nach Sizilien absetzen. Aber die Alliierten folgten ihnen.

Der Krieg kam zu uns

Inzwischen war der nächtliche Luftkrieg deutlich heftiger geworden. Unser alter Gewölbekeller war viel zu klein, und er hatte keinen Notausgang. Deshalb gingen wir zu Schönen in den Keller, wenn Fliegeralarm war. Von diesem Keller aus hatten die Männer eine Verbindung zum Nachbarkeller nach Kahl geschaffen, um im Notfalle ein verschüttet werden zu vermeiden.

Der Luftschutz wurde eingeführt

Für den Luftschutz musste allerhand getan werden. Die Speicher mussten entrümpelt werden, hier mussten sich Sandeimer befinden, außerdem eine Feuerpatsche, Handspritze in einem Eimer Wasser, um kleinere Brände durch Brandbomben oder Phosphorplättchen zu bekämpfen. Auch wir Kinder wurden hier eingewiesen. Es wurde härter. Plötzlich brannte die Scheune von der Gaststätte Thoma lichterloh.

Die Schleidener Schreckensnacht

Es kam noch schlimmer. In der Nacht vom 30. zum 31. August 1943 zerstörte eine Luftmine die Kirche und die umliegenden Häuser. Es gab 20 Tote, darunter mit Hans Mommertz, ein Klassenkamerad. Mein Vater tat sich bei der Bergung der Toten und Verletzten so hervor, dass er später mit dem Kriegsverdienstkreuz ausgezeichnet wurde.
Die Beerdigung der 20 Toten war eindrucksvoll. Wir Jungen trugen in Jungvolkuniform die Särge der toten Kinder.
Mittlerweile erfuhr man auch von Kriegsgefallenen, die einem nahegestanden hatten.

Das Unternehmen Barbarossa

In unseren Augen überwogen aber die Heldentaten und Erfolge der Soldaten. So begeistert ich vom Frankreichfeldzug war, so bedenklich erschien mir der Einmarsch in Russland am 22. Juni 1941. Russland war einfach zu riesig, die Witterungsverhältnisse mit Eis, Schnee und Schlamm einfach zu unsicher. Mir ging auch Napoleon nicht aus dem Kopf, der daran gescheitert war. Aber zunächst ging es gut bis Stalingrad. Das brach uns deshalb das Genick, weil Hitler zu starrsinnig war und eine ganze Armee opferte. Hitler hatte damit gerechnet, Russland vor Einbruch des Winters zu besiegen; denn seinen Soldaten fehlte jegliche Winterausrüstung.

Unbegreiflich für mich war, dass er dann noch den USA den Krieg erklärte, die dann auch – wie im 1. Weltkrieg – spontan eingriffen. Dann vertrieben die Alliierten unsere Truppen aus Nordafrika und landeten kurze Zeit später in Italien.

Zu allem Überfluss schieden die Italiener aus dem Pakt mit Deutschland aus und unsere Truppen hatten nun auch diese als Gegner. Sie trugen die Schuld dafür, dass wir die Italiener in Nordafrika und im Balkan unterstützen mussten. Übrigens hatten sich die Italiener im 1. Weltkrieg ähnlich verhalten.

Die Invasion im Westen

Im Juni 1944 landeten die Alliierten in der Normandie. Unsere hier stationierten Truppen konnten sie nicht abwehren. Der Luftkrieg, den wir bis dahin nur nachts bemerkten, fand nun auch am Tage statt. Die Jabos (einmotorige Jagdflugzeuge, die mit Bordkanonen und Bomben bestückt waren) und die Lightnings (zweimotorige Flugzeuge mit zwei Rümpfen und einer dazwischen liegenden Kanzel, die beim Anflug und auch beim Abflug schießen konnten: Sie schossen auf alles, was sich bewegte. Man musste sich immer in der Nähe von Deckungen aufhalten.

Nach der Landung der Alliierten in der Normandie hatten die Verantwortlichen des EBV die Grubenarbeiter gebeten, in ihren Wohnorten Erdbunker zu bauen. Das Material stellte die Grube kostenlos zur Verfügung. In Schleiden bauten sie 3 solcher Bunker – in der oberen Siersdorfer Straße, in der unteren Nikolausstraße und auf dem Gelände von Meurers. Letzterer hatte noch keinen Notausgang und durfte nicht benutzt werden.

Das Attentat auf den Führer

Inzwischen war etwas Sensationelles passiert, das Attentat auf den Führer am 20. Juli 1944. Wir waren natürlich entsetzt. Noch mehr entsetzt war ich aber von den Kriegsgerichtsverfahren vor dem Volksgerichtshof. Am Radio bei Thelen verfolgten wir die brutale Art, wie Roland Freisler bis dahin honorige Menschen, wie Generalfeldmarschall von Witzleben niedermachte. Von Freisler war ich mehr entsetzt als von den Attentätern.
Zu Hause war das alles kein Gesprächsthema. Aus Angst, ein falsches Wort zu sagen, hörte man sich alles kommentarlos an.

Zweifel am gesunden Menschenverstand bekam ich beim Hören der Berliner Sportpalast-Rede von Joseph Göbbels, der bei seiner Frage „Wollt ihr den totalen Krieg“ Begeisterung bei den Zuhörern auslöste, für mich unbegreiflich.

Mein Vater war Bergmann auf der Grube Anna I in Alsdorf. Im Sommer rief dessen Leiter Bergass. Venn eine ca. 20köpfige Gruppe zusammen und eröffnete ihr, dass die Alliierten keine Schäden an den Gruben verursachen würden, weil es alles Luxemburgische Kapital sei. Aber er wisse auch, dass die Nazis die Grube zerstören
Wolle. Das müsse vermieden werden. Man werde sich wenn notwendig mit Waffengewalt dagegen werden. Er bat seine Getreuen um Mithilfe und händigte jedem einen Ausweis aus, wonach der Zutritt zur Grube „selbst bei einer Feindbesetzung“ möglich war. Mein Vater hatte die Aufgabe, Kühe und Schweine in die Grube zu schaffen als Verpflegung für die Besetzer. Aber meine Mutter wollte nicht nach Alsdorf.

Auch wir Kinder mussten helfen

Am Morgen des ersten Schultages nach den Sommerferien 1944 erschien unser Klassenlehrer „Äepel“ Weyer und schickte uns nach Hause mit dem Befehl der NSDAP oder HJ, um 13 Uhr mit Gepäck und Schanzzeug am Bahnhof in Jülich zu sein. Alle Jungen ab 14 Jahren kamen hier zusammen. Unsere Gefolgschaft Aldenhoven, geleitet von Adam Kirsch aus Siersdorf, zählte gefühlsmäßig 200 Mann. Wir fuhren mit dem Zug bis Marienberg bei Geilenkirchen. Hier übernachteten wir in der Volksschule. Am nächsten Tag marschierten wir mit Gepäck nach Übach. Ich hatte einen alten Papp-Koffer, dessen Griff mein Vater mit Schusternägeln befestigt hatte, die mir aber die Hand aufrissen, bis sich einer meiner Kameraden erbarmte, einen Stock durch den Handgriff schob und mir beim Tragen half. Schließlich hatte ich in der anderen Hand den alten Spaten. In Übach bezogen wir einen Saal direkt neben der Kirche. Dort schlugen wir unsere Strohlager auf. Eine mitgebrachte Decke drüber. Eine Decke zum Zudecken, das war es. Morgens erhielt jeder drei doppelte Schnitten Schwarzbrot mit Marmelade. Da diese durchgezogen war, musste man sich immer die Finger waschen. Dann zogen wir in Marschordnung singend durch Übach, dann durch Palenberg bis zwischen Frelenberg. Entlang der Straße mussten wir einen 2 Meter tiefen Panzergraben ausheben, für die meisten von uns eine ungewohnte Arbeit, die schnell zu Muskelbeschwerden führte. Mittags marschierten wir zurück. Dann gab es eine Kappes- oder Fußlappensuppe, so genannt, weil die Weißkohlblätter handtellergroß waren. Fleischeinlage Fehlanzeige. Nachmittags hatten wir dann noch Fußdienst, Marschieren, Laufen und so. Abends wieder drei Scheiben Schwarzbrot mit Marmelade.
Eine Gruppe netter junger Mädchen saß in der Volksschule, schmierte die Brote, nähte Knöpfe an. Hin und wieder fanden wir einen Grund, dorthin zu gehen.
Sonntags kamen Väter und Mütter zu Besuch. Am Nachmittag besuchten uns die Gäste auf unserer Schanzstelle. Plötzlich kamen einige hohe Parteileute angefahren, die Aushalteparolen von sich gaben. Plötzlich kritisierte einer lautstark, wie unverantwortlich es sei, Kinder in Frontnähe arbeiten zu lassen, während bei uns zu Hause kriegserfahrene Männer beim Schanzen seien. Das war mein Vater, der dann sofort verhaftet wurde und nach Zweibrüggen zur Vernehmung gebracht wurde. Der Polizeioffizier begnügte sich mit Warnungen bei Zuwiderhandlungen und so und jagte ihn raus. Am nächsten Morgen kreisten Thunderbolts über uns und beschossen uns mit Bordkanonen. Bei uns passierte nichts. Aber 100 m weiter zerstörten sie mit einer Bombe eine Zwillingsflak. Dabei starben zwei Flakhelfer, 16 Jahre alt.
Übach war inzwischen geräumt. Abends kam mein Vater mit den Müttern von Kaspar Thelen und Matthias Fleck. Wir hauten mit ihren Fahrrädern übers Feld ab. In derselben Nacht machten sich alle Hitlerjungen auf den Weg nach Hause. An den nächsten Tagen habe ich in Schleiden geholfen, Gräben auszuwerfen.

Ein paar Tage später mussten wir uns in der Schule melden. Wir sollten nach Gemünd in der Eifel. Ich wusste nicht einmal, wo das war. Zum Glück kam mein Vater von der Arbeit und schickte mich nach Hause. Er legte sich gewaltig mit den HJ-Führern an, denen wir am Denkmal begegneten, und stellte sich dann mit der Axt hinter das Tor. Ich habe dann den Rest des Tages und die Nacht bei Steinbusch gegenüber auf dem Speicher zugebracht. Bei uns im Haus hatten zwei Nazis Quartier bezogen, die die Räumung unseres Ortes beaufsichtigen sollten. Am nächsten Tag bin ich nach Siersdorf zu Tante Lenchen, weil die nur Mädchen hatte und von der Suche nach Jungen verschont bleiben würde. Nach ein paar Tagen holte mich ein Feldwebel mit einem Wehrmacht-PKW nach Hause. Die beiden Parteileute hatten sie bei einem extra provozierten Streit vor die Tür gesetzt.

Die letzte Kriegsphase

An einem schönen klaren Samstagnachmittag waren plötzlich zwei große Gruppen Bomber über uns. Von beiden Gruppen lösten sich winzige silbern glänzende Punkte. Da die erste Gruppe genau über uns war und wir wussten, dass sie einige hundert Meter weiter einschlagen würden, ließen wir uns Zeit, um in Deckung zu gehen. Die Bomben der ersten Gruppe schlugen hinter dem Ort in Richtung Obermerz ein, wo sich heute die Autobahn befindet. Die zweite Gruppe legte einen Bombenteppich vor den Ort zwischen Siersdorf, wo der Landwirt Matthias Kehmer seinen Acker pflügte und mit seinem Pferd verschüttet wurde. Das Pferd war tot, der Landwirt hatte einen Schock erlitten.

Ab Anfang Oktober fuhren die Eisenbahnzüge ab Schleiden in Richtung Jülich bis Ameln. Von hier dort aus gingen Züge in die Evakuierung nach Mitteldeutschland. Wir Jungen und einige BDM-Mädchen aus dem Bergheimer Raum mussten die Evakuierten bis zur Zugabfahrt betreuen.

Ein paar Tage später am 8. Oktober wurde Schleiden geräumt. Mein Vater präsentierte die von der Grube ausgestellte Dienstverpflichtung. Deshalb wurden wir von der Zwangsräumung ausgenommen. Wir wollten zuhause bleiben.

Der letzte Eisenbahnzug ging am 9. Oktober von Schleiden aus. Mein Onkel wollte mit seiner Familie, Ehefrau und drei Kinder mitfahren. Er hatte das Gepäck zum Bahnhof gebracht. Dann holte er seine Familie. Alle fünf wurden durch eine Granate getötet. Wir haben sie ein paar Tage später auf dem Friedhof beerdigt, eingewickelt in Betttüchern, zwei Spatenstiche tief. Aus Brettern einer Margarinenkiste habe ich ein Kreuz zusammengenagelt, mit Namen und Todesdatum versehen und in die Erde gesteckt. Morgens vor fünf. Kurze Zeit später begann der Beschuss.
Die Amis lagen damals in Mariadorf auf der Abraumhalde schon seit dem 8. Oktober. Von hier aus hatte man Schleiden im Blickfeld der Scherenfernrohre. Sie hatten auch wohl Horchgeräte; denn wenn es laute Geräusche, wie von einem laufenden Traktor gab, folgte sofort der Granatbeschuss. Als Landwirt Pohlen wegfahren wollte, hatte er seinen Traktor bei Königstein vor den Hof gestellt stundenlang mit laufendem Motor. Die ersten Granaten trieben uns in unseren Keller hinab. Plötzlich schlug eine Granate genau vor dem einen Kellerloch ein und riss es größer. Die Splitterwirkung ging an die gegenüber liegende Wand. Da wir an der Straßenseite hockten, passierte uns nichts. Aber unser Keller war danach nicht mehr benutzbar.
Wir waren bei Kahl im Keller. Wir hatten Essen in Hülle und Fülle; denn immer wieder wurden Tiere, Kühe und Schweine, durch den Beschuss getötet. Im Keller war Mehl und Zucker. In der Frühe lief meine Mutter nach Kummer, um Milch zu holen oder Butter zu machen. Hier musste sie sofort in den Keller durchstarten; denn sofort setzte der Beschuss ein.

Da uns der Weg zum Bunker in der oberen Siersdorfer Straße viel zu weit war, hatten die Männer neben dem Haus Kahl, wo jetzt das Haus Meier steht, einen Splittergraben ausgehoben, etwa zwei Meter tief und ebenso breit und diesen mit schweren Baumstämmen und Strohballen abgedeckt und darüber eine dicke Erdschicht.
Eines Tages, wir saßen bei Kahl im Keller als ein Jabo über uns kreiste. Von der Hoftür schaute ich mir das an. Über dem Eingangsbereich befand sich eine Drahtglasscheibe. Plötzlich setzte der Jabo zum Tiefflug an. Ich verschwand sofort um die Ecke in den Keller hinab. Mit den Bordwaffen zerfetzte er die Glasscheibe und die darunter liegende Tür. Eine Bombe setzte er dann genau auf den Splittergraben, den es danach nicht mehr gab. Der Angriff galt nicht mir, sondern zwei PKWs, die zwei Männer des Räumungskommandos hier abgestellt hatten. Wir haben die dann sofort gegenüber bei Emunds unter das Tor in Deckung geschoben. Da hatten wir nochmal Glück gehabt. Mein Vater wollte vorher mit uns in den Splittergraben. Aber meine Mutter hatte sich dagegen gewehrt.
Unser Kellerdasein ging einige Wochen weiter. Die Front bewegte sich nicht. Ab und zu kam ein Melder zu uns in den Keller, aß etwas und gab uns den Lagebericht. Pfarrer Verfürth, der sich noch im Ort befand, kam und ließ sich von meinem Vater die Haare schneiden. Oder Leonhard Pütz erschien und machte uns darauf aufmerksam, wo getötetes Vieh lag. Ich bin einige Male mit ihm gegangen, um Fleisch zu holen. Der ging keinen Schritt schneller, wenn die Granaten pfiffen. Seine Antwort: „Das bringt nichts, die schlagen auch hinten ein“. Schon am Geräusch der herannahenden Granaten konnte man ziemlich genau feststellen, ob es notwendig war, in Deckung zu gehen. Selbst mit 14 Jahren hatte man eine gewisse Erfahrung.

Die Evakuierung

Es muss um den 20. Oktober herum gewesen sein. An einem Freitag, erhielten wir Besuch von einer Gruppe Feldgendarmerie, die uns aus dem sicheren Versteck trieb. Wir mussten mitten in der Nacht nur mit Handgepäck zum Bunker in Meurers Wiese und sollten hier in einen ankommenden Bus einsteigen. Mit uns waren hier meine Verwandten aus Baesweiler, Onkel, Tante und Vetter Jupp. Dann die Großfamilie Leonhard Büttgen und Heinrich Thelen, ein lediger Onkel von Kaspar Thelen. Wir wehrten uns alle, besonders die Frauen. Da erschien Theodor Weitz, Gutsbesitzer und Kreisdeputierter im schwarzen Anzug mit dem EK1 aus dem 1. Weltkrieg auf der Brust. „Was ist denn hier los“, brüllte er in seiner gewohnten Art den Feldwebel an. Im Zuge der Diskussion bot er uns an, zwei Deula-Wagen, die gegenüber bei Neulen und Wolff auf dem Hof standen, zu beladen und am nächsten Morgen in aller Frühe mit in den Kölner Raum zu nehmen.
Wir luden einen der Wagen voll, sogar der Küchenherd musste mit. Sonst hatten wir nicht viel; denn Porzellan und Kleidung war mit Beginn der Räumung in der Kalkgrube bei Schönen in Sicherheit gebracht worden.
Die Familie Büttgen belud den anderen Wagen. Am frühen Morgen wurde gestartet. Die Frauen und Kinder wollten auf der Landstraße zusteigen. Plötzlich hielt ein Mannschaftstransportfahrzeug der Wehrmacht an und brachte uns nach Stetternich zu einem Hauptverbandsplatz. Hier sollten wir auf unseren Transport warten. Es dunkelte schon, als der Lanz Bulldog mit den beiden Wagen eintraf. Wir sind dann zugestiegen und in Richtung Bergheim weitergefahren. Wir waren genau in dem Torbogen am Ortseingang von Bergheim, als der Traktor stotterte und stehenblieb. Durch den gleichen engen Torbogen wollte eine SS-Panzereinheit in der entgegengesetzten Richtung. Ein hochdekorierter SS-Offizier tobte los und schrie „Sabotage“ und zog seine Pistole, als er hörte, dass der Fahrer, Edmund Warmbier, ein polnischer Kriegsgefangener, nur gebrochenes Deutsch sprach. Mein Vater und die anderen Männer hatten viele Mühen, die Situation zu erklären. Schließlich schleppte man unseren Konvoi auf den Schulhof und gab uns Treibstoff für die Weiterfahrt. Die Männer blieben bei den Wagen. Frauen und Kinder wurden für die Nacht in einem Tapetengeschäft untergebracht. Jahre später haben wir uns bei der Frau Bittner erkenntlich gezeigt.

Am nächsten Morgen, einem Sonntag, sind wir weiter über Niederaußem nach Glessen. Hier waren schon viele Schleidener, die Weitz nach hier gebracht hatte. Außerdem lag hier wohl eine größere Militäreinheit. Es wimmelte von Soldaten, und die Straßen des Ortes waren total zerfahren. Wir sind jedenfalls weiter zu dem nächsten Ort, nach Brauweiler. Hier sah es gar nicht nach Krieg aus. Keine Soldaten, keine Schäden. Alles wirkte irgendwie städtisch.
Leonhard Büttgen war mit seinem Sachs-Motorrad weitergefahren und hatte für seine Familie Quartier gemacht. Wir standen mit unserem Wagen noch auf der Straße. Der dortige NSDAP-Zellenleiter hatte sich Mühe gegeben, uns unterzubringen, ohne Erfolg. Es war Nachmittag. Eine ältere Dame mit Gebetbuch ging zur Andacht und sprach uns an. Sie war spontan bereit, die Hälfte von uns aufzunehmen, meinen Onkel mit Familie. Wir sollten nebenan bei der Frau Wenz, die das kleine Nachbarhaus ganz allein bewohnte. Aber die Frau Wenz weigerte sich. Daraufhin erklärte sich Frau Robens bereit, auch noch uns aufzunehmen. Ihre Familie bestand aus drei Personen, sechs kamen dazu. Wir bezogen die drei Zimmer auf der ersten Etage. Ihnen blieb die gleiche Zahl Zimmer Parterre.
Da wir ja Lebensmittel, wie Fleisch, Mehl und Zucker, bei uns hatten, klappte das ganz gut. Meine Mutter und Frau Robens kochten dann eben für neun Personen. Etwa einen Kilometer weiter lag der Bauernweiler Freimersdorf. Hier hatte meine Mutter sofort Beziehungen aufgebaut, wo sie abends Milch holen konnte. Die Robens hatten ein paar Hühner und einen kleinen Garten, so dass es uns ganz gut ging. Mein Vater sorgte dafür, dass die Kellerräume sofort abgestützt wurden. Die Fichtenstempel holten wir mit zwei Handwagen über viele Kilometer von einem Industriebetrieb in Knappsack. Unterwegs bekamen mein Vater und Onkel Anton Streit, weil dem Onkel der weite Weg nicht passte. Die Folge davon war, dass mein Onkel mit Familie nach einigen Tagen in eine andere Wohnung zog.
Uns gegenüber wohnte Familie Röttgen, die zwei Söhne in meinem Alter hatte. Josef nahm mich mit zu den Heimabenden im Pfarrhaus. Da lernte ich andere als Soldaten- und HJ-Lieder kennen. Außerdem hatte der Pastor für uns Gymnasiasten einige pensionierte Lehrer engagiert, die uns unterrichteten. Josef spielte in der Kirche die Orgel. Er nahm mich mit auf die Empore, wo ich dann den Blasebalg trat. Ich bin hier gerne zur Kirche gegangen, obwohl es ein gutes Stück zu laufen war. Über Frau Robens hatte der Pastor von dem Tod meiner Verwandten erfahren. Für die hielt er eindrucksvolle Exequien.
Für mich etwas ganz Besonderes waren die Gottesdienste zum Weihnachtsfest. Margret Robens, die damals 21-jährige Tochter, sang einige Lieder solo. Lieder, die ich nie gehört hatte, Süßer die Glocken nie klingen und Tochter Sion. Ansonsten war das Weihnachtsfest in der Fremde sehr bedrückend, obwohl sich die Familie Robens um uns bemühte, es nett zu gestalten. Aber auch sie dachte an den Sohn, der in Russland an der Front war.

Eines Sonntagsmorgens wir gingen zur Messe, als plötzlich ein Jabo über uns war und zum Sturzflug ansetzte. Wir drückten uns flach an die Mauer der neben der Kirche gelegenen Arbeitsanstalt, als er eine Bombe löste. Dann war der Spuk vorbei. Die Bombe war in die Anstalt eingeschlagen und hatte den Raum zerstört, in dem zuvor Konrad Adenauer, der letzte Kölner Oberbürgermeister vor der Nazizeit inhaftiert war. Er war einige Tage zuvor verlegt worden. Damals sagte mir der Name Adenauer noch nichts.

In dieser Zeit bauten die Schleidener Bergleute, mein Vater, Leonhard Büttgen und dessen Schwiegersohn Hermann Lentzen an dem außerhalb von Brauweiler gelegenen Umspannwerk des RWE einen Tiefbunker, den sie bis wenige Stunden vor dem Einmarsch der Amerikaner fertigstellten. Meine Aufgabe war, meinem Vater das Essen zu bringen. In Brauweiler wurde inzwischen auch der Volkssturm aufgestellt. Mein Vater und ich erhielten die Aufforderung. Wir sind nicht hingegangen. Mein Vater ist wiederholte Male mit Weitz und einigen anderen Schleidener Männern mit dem Traktor in das Hinterland der Front gefahren, um Schweine zu holen, die Weitz gekauft hatte. Das Fleisch wurde an die Schleidener Evakuierten verteilt. Bei einer solchen Fahrt traf er auf Hauptlehrer Heiden aus Siersdorf, einen alten Nazi, der die Adresse von ihm wissen wollte. Er hat sie ihm nicht gesagt. Dennoch erhielt mein Vater einige Zeit später einen Gestellungsbefehl, den meine Mutter sofort in den Herd steckte. Was nun? Die Frau Röttgen, deren Mann stellvertretender Bürgermeister des Amtes Weiden war und auch Parteimitglied, hatte wiederholt von meiner Mutter etwas Fleisch bekommen. Ihr Mann durfte das aber nicht wissen. Mit ihr besprach meine Mutter das Problem. Herr Röttgen empfahl uns, sich beim Amt nach Mitteldeutschland abzumelden. Man werde dann wohl keine Lebensmittelkarten mehr bekommen. Aber das sei für uns ja wohl das kleinere Übel. Wir hielten uns fortan bedeckt und ließen uns nicht mehr in der Öffentlichkeit sehen.
Abgesehen von dem Jabo-Angriff hatten wir in Brauweiler noch wenig vom Krieg mitbekommen, bis eines Tages eine Granate in ein Nachbarhaus einschlug und den Besitzer tötete. In dem Haus wohnte die Schleidener Familie Thönnissen, der nichts passiert war. Da die Front inzwischen näher rückte, hatten wir unsere Matratzen in den Keller gelegt, so nebeneinander, zuerst mein Vater, dann meine Mutter, Herr und Frau Robens, Margret und ich. Eines Nachts, so zwischen 4 und 5 Uhr, hörten wir das Rasseln von Panzerketten. Wir sind nach oben. Da stand vor unserem Gartentörchen ein Panzer. „Du Ami?“, fragte mein Vater. Der Panzerkommandant fragte nach deutschen Truppen. Die hatten wir an den Vortagen nur ganz vereinzelt gesehen. So ein Dutzend amerikanischer Soldaten quartierte sich in den drei Räumen im Erdgeschoss ein. Am Abend setzten wir uns zu ihnen und versuchten, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Margret und ich konnten etwas englisch. Man konnte sich verständigen. Margret sang einige Lieder und ein Amerikaner spielte Klavier. Wir erhielten Schokolade und Erdnüsse, die aß ich zum ersten Mal. Ich habe nach Indianern gefragt und wunderte mich, dass unter ihnen eine Rothaut war. Der sah aus wie die anderen.
Am nächsten Tag verließen die Fronttruppen uns wieder. Ein Sergeant zeigte mir, dass er im Backofen des Herdes einen Karton mit den Marschverpflegungen Breakfast, Dinner, Supper für uns hinterlegt hatte. Während die Frauen sich um die Reinigung der Räume bemühten, sortierte ich die Inhalte: Wurstkonserven, Keks, Kaffee- und Kaltgetränkepulver und Zigaretten. Ich habe das geteilt, nachdem ich mir eine Packung Zigaretten unter den Nagel gerissen hatte. Als ich die erste probiert hatte, war mir schlecht geworden, und ich wurde erwischt. Am nächsten Tag kamen die nächsten Truppen. Wir mussten das Haus räumen und in die Arbeitsanstalt umziehen, mit uns die Familie Röttgen.
Wir bezogen je Familie eine Zelle im Trinkerbau. Mittags zwischen 12 und 1 durften wir das Gebäude verlassen. Am ersten Tag erhielt ich einen Rucksack und den Auftrag, aus dem Stall ein Säckchen mit Erbsen zu holen. Josef Röttgen war mit dabei. Mit dem Rucksack und den Erbsen sind wir danach über die Kelleraußentreppe in das Haus Röttgen eingestiegen. Wir hörten die Amis oben im Haus. Unten im Keller war niemand. Hier fanden wir Konserven und Zigaretten in Masse. Ich machte den Rucksack leer und füllte ihn mit Zigaretten und noch ein paar Konserven.
Draußen vor dem Haus stand das Leichtmotorrad von Röttgen. Josef setzte sich auf den Sattel. Ich musste ihn bergab bis zur Einmündung in die Mathildenstraße schieben. Er zündete den Motor und wir fuhren stolz per Motorrad zur Anstalt. Mit unserem Zigarettenanteil haben wir später nach der Rückkehr aus der Evakuierung unser Dach wiederherstellen können.

Heimkehr in Trümmerlandschaft

Der Aufenthalt in unserem Asyl war nur von kurzer Dauer. Dann war für uns der Krieg vorbei. Wir meldeten uns wieder an und erhielten Lebensmittelkarten.
Inzwischen hatte mein Vater Verbindung zu einem Landwirten in Freimersdorf aufgenommen. Es war der Schwiegersohn des Landwirten Zillekens aus Ederen, der hier evakuiert war mit Pferden und Fahrzeugen. Mein Vater bat diesen um Pferd und Karre für die erwartete Heimkehr. Mein Vater versprach ihm, vorher die Frühjahrsbestellung vorzunehmen. Das Wetter war warm und trocken, sodass das zeitlich hinhaute. Währenddessen bemühte sich meine Mutter bei der Kommandantur um den Passierschein nach Hause. Das dauerte eine gewisse Zeit. Als es dann soweit war, erhielten wir Pferd und Karre für den Rücktransport. Allerdings mussten wir zwei Kühe mitnehmen und auf Gut Ungershausen abliefern. Die Tiere, die den ganzen Winter über im Stall gestanden hatten, waren das Laufen nicht gewöhnt, sodass sie unseren Rückweg sehr verzögerten. Sie zwangen uns zum Rasten in Rheidt bei Frauweiler und in Rödingen. Rödingen und die Orte davor und dahinter waren wie ausgestorben. Wir hatten wohl das Glück, nicht soweit weggewesen zu sein, sodass wir zu den Ersten zählten, die zurückkehren konnten.
Jülich sah schrecklich aus. Kein Stein war mehr auf dem anderen. Nur Trümmer. Mein Vater schickte mich mit dem Fahrrad nach Hause. Ich bin nach Schleiden gefahren und von dort aus über Siersdorf zurück bis Koslar, wo ich ihn schließlich traf. Nachdem ich Jülich gesehen hatte, war ich einigermaßen zufrieden, mit dem, was ich zu Hause vorfand. Dennoch Granateinschläge überall, kein Haus war verschont geblieben. Schrecklich die vielen Telefonleitungen, die vor den Häusern hingen. Am Palmsonntag waren wir Hause. Das Dach war stark beschädigt. Keine Tür war im Haus. Im vorderen großen Wohnzimmer hatte wohl ein Jeep gestanden; denn die Straße lag so voll Dreck und Trümmer, dass sie mit dem Fußboden im Wohnzimmer auf gleicher Höhe lag. Meterhoher Dreck auch unter dem Torbogen. Um mit der Karre hineinfahren zu können, mussten zuerst viele Karren Dreck abgefahren werden. Aber wir hatten ja Pferd und Karre, die wir einige Zeit behalten konnten, bis das Schlimmste beseitigt war. In Schleiden waren nur wenige Einwohner, die Familien Kummer und Pütz, die von der Front überrollt worden und später von den Amis nach Oidtweiler umgesiedelt worden waren.

Schleiden hat wohl mehrmals den Besetzer gewechselt. Erst am 19. November zogen hier die Amis ein. Ein von Russland an die Westfront bei Gressenich verlegtes pommerisches Grenadierregiment hat am gleichen Tag die Amerikaner aus Schleiden zurückgeworfen, musste sich dann aber in Richtung Niedermerz und später nach Dürboslar absetzen unter riesigen Verlusten, wie es in der Chronik dieses Regiments heißt. Der weitere Vormarsch der Alliierten war nicht weniger zäh. Jülich und Düren waren zwar am 16. November total zerbombt worden.
Aber die Rur schien den Alliierten unüberwindlich zu sein. Erst am 24.
Februar 1945 wurde Jülich eingenommen. Das war ihr letztes Hindernis; denn einige Tage später waren sie rund 40 km weiter bei uns in Brauweiler.

Der erste Schritt in ein Leben ohne Schaufel und Hacke

Schon seit dem Beginn meiner Schulzeit hatte mein Vater immer gedroht, wenn ich nicht lernen würde, drohe mir später die Arbeit mit Schaufel und Hacke, Worte, die mir erst später ins Bewusstsein rückten. Die Verwirklichung dieser Drohung kam nach der Rückkehr in die Trümmer unseres Hauses ganz nahe. Es ging nicht anders. Schutt, nur Schutt.

Aber es kam anders. Den ehemaligen Knecht von Weitz, Arnold Thelen aus Obermerz, der auch zu Hause geblieben war, hatten die Amerikaner zum Bürgermeister von Aldenhoven gemacht. Er traf schon in der ersten Woche meine Mutter. Er erinnerte sich, dass ich zum Gymnasium gegangen war und wohl Englisch können musste. Ich musste bereits am Ostermontag meinen Dienst auf dem Amt als Dolmetscher antreten. Die in Jülich residierende Militärregierung bestimmte damals. Und ich sollte übersetzen. Das war aber nicht nötig. Die Anordnungen waren in Englisch und in Deutsch. Jeden Tag musste ich mit dem Fahrrad nach Jülich die Post abholen.

Zu den ersten Anordnungen gehörte das Gebot, alles Militärgut auf einen zentralen Platz zu bringen. Ich nahm die Anordnung nicht so eng und suchte die Plätze nach Brauchbarem, vor allem Esswaren ab. Schließlich konnte ich ablesen, was sich in den Büchsen befand. Ich brachte immer ein gefülltes Säckchen mit nach Hause. Meine wichtigsten Fundstücke: Eine 5 kg Büchse mit Eipulver, und noch eine halbe dazu. Mit dem Löffel wurde die oberste Dreckschicht abgenommen. Der Inhalt reichte für viele Male, ja Monate Eierkuchen. Dazu zwei Kartons Blockschokolade und viele Dosen mit Cornedbeef. Elf linke und ein rechter Boxhandschuh. Das wunderbar weiche Leder konnte man brauchen. Ich wurde bei meinen Streifzügen immer dreister und stahl einem schlafenden Ami eine Schachtel Zigaretten und ein feststehendes Messer. Einmal hatte ich auf einer solchen Fahrt Pech. Zwei Schwarze sprangen von einem LKW und nahmen mir mein Fahrrad weg.
Aber ich hatte am gleichen Tag ein anderes. In jedem Ort gab es Hilfspolizisten, die gegen Plünderer vorgingen. Wenn sie von auswärts kamen, wurden ihnen die Fahrräder abgenommen, die dann im Rathaus eingeschlossen wurden. Es gab zwar keinen Schlüssel, es genügte, die Klinken abzumontieren. Da war es für mich ein Leichtes, mir ein neues Fahrrad zu nehmen. Das wurde mir ein paar Tage später von drei Polen, die auf zwei Fahrrädern unterwegs waren, abgenommen. Das nächste Rad durfte ich dann nur leihweise haben.
Eines Tages erhielt das Amt zwei Bezugscheine für Fahrräder. Der inzwischen eingesetzte Bürgermeister Kruth beauftragte mich, mit einem Bezugschein bei Uerlichs ein Fahrrad zu bestellen und den anderen einzuschließen. Ich habe gleich zwei Fahrräder bestellt, das eine für mich. Ich habe ihm dann plausibel gemacht, dass mir das Fahrrad zustehen würde, weil ich mein eigenes im Dienst geopfert hätte. Das hat er schließlich geschluckt.

Meine Aufgaben waren vielfältiger Natur. Heute würde man sie Daseinsvorsorge nennen. Die Amis verlangten, dass die jüdischen Friedhöfe in Ordnung gebracht wurden. Ich musste bekannte Nazis anschreiben, die diese Arbeiten zu verrichten hatte. Dabei kannte ich weder die Judenfriedhöfe noch die Nazis.

Und dann musste ich die Heimkehrer aus der Evakuierung registrieren. Guter Auftrag. Aber wo. Ich fand dann ein großes Kassenbuch, in dem viel Platz war.
Dann musste ich Geburten und Sterbefälle in Register eintragen. Hoch lebe der Vorgang.
Ein größeres Problem bereitete mir ein Mann aus Siersdorf, den ich sehr gut kannte. Er wollte heiraten, weil seine Braut hochschwanger war. Das konnte ich natürlich nicht. „Aber du willst doch nicht, dass unser Kind unehelich wird. Das war damals ein schlimmer Makel. Ich fand das Ende 1944 zuletzt benutzte Heiratsregister und trug die beiden ein und ließ sie auch unterschreiben. Ich selbst habe nicht als Standesbeamter unterschrieben. Als der Standesbeamte Franz Plum aus der Evakuierung zurückkam, hat der mit mir geschimpft, dann unterschrieben und alles war paletti.

Dann gab es Hauseigentümer, deren Dach beschädigt war. Sie kamen zum Amt und ließen sich bescheinigen, dass sie von einem anderen Gebäude Dachziegel entnehmen durften.

Einmal musste ich mit dem Fahrrad nach Kronenbrot in Broichweiden und die Belieferung von Maisbrot – etwas anderes gab es damals nicht – für unsere Bürger regeln. In jedem Ort gab es eine Ausgabestelle, meistens beim Ortsbürgermeister, das war in Schleiden Leonhard Pütz.

Mit Kühen konnte ich nun wirklich nicht umgehen. Deshalb war ich entsetzt, als ich den Auftrag erhielt, zwei Kühe von Gut Hausen nach Pattern zur Frau Frings zu treiben. Ich wusste gar nicht, dass Pattern zu Aldenhoven gehörte. Unser Bürgermeister Thelen hatte es sich angeeignet. Aber damals wurde alles nicht so genau genommen.
Währenddessen waren Männer damit beschäftigt, das in Scheunen lagernde Getreide zu dreschen. In einer Gruppe hatte mein Vater die Aufsicht über so einige Nazis.

Es war eine schlimme Zeit, aber alle überlebten.
So nach und nach normalisierte sich das Leben auf dem Amt. Einige der ehemaligen Beamten und Angestellten kehrten aus dem Krieg oder aus der Evakuierung zurück.
Inzwischen war ich drei Monate in Arbeit, nicht jedoch in Brot. Eine Vergütung hatte ich noch nicht erhalten. Ich habe dann den Bürgermeister um einen Lehrvertrag gebeten, rückwirkend zum 1. April 1945. Den habe ich dann auch erhalten und eine Lehrlingsvergütung von monatlich 30 RM im ersten Jahr, 40 im zweiten und 50 im dritten. Zum Vergleich: eine Zigarette kostete 6 RM, eine Flasche Knolli Brandy 120 RM. Damals wurde viel gesoffen, auch im Amt. Jeder musste mithalten nach dem Motto Mitgefangen – mitgehangen. Da war nicht unbedingt mein Fall. In den ersten Monaten gab es nur zwei oder drei Diensträume und keine Toilette. Die benutzten wir im Notfalle gegenüber bei Gebhardt. Die Toilette befand sich draußen. Sie war manchmal ziemlich vollgeschissen und bei Frostwetter zugefroren. Ich habe manchmal bis zum Abend gewartet mit der Folge, dass ich jahrelang mit Verdauungsproblemen zu tun hatte.
Damals wurde viel Alkohol getrunken, selbstgebrannter aus Zuckerrüben, Kartoffeln oder Obst. Der „Knolli“ schmeckte ekelhaft, aber er wirkte. Manche verfeinerten ihn durch Geschmackszusätze zu Likören. Für den Hausgebrauch wollte auch ich mithalten und brennen. Das war alles damals verboten. Die Polizei war scharf dahinter und beschlagnahmte Schnaps und Brennapparate. Wo Schnaps gebrannt wurde, roch man bis auf die Straße. Deshalb war mein Vater strikt dagegen. Die beschlagnahmten Apparate standen in einem Zimmer im Rathaus, abgesperrt durch die entfernte Türklinke. Nach und nach habe ich die notwendigen Teile eines Apparates gestohlen und bei Nachbar Thelen deponiert. Hier haben wir dann auch einige Male gebrannt, aber nur für den Eigenbedarf. Wenn wir sonntags nach Niedermerz zum Tanzen gingen, hatte der eine oder andere eine Flasche dabei. Wir Schleidener saßen in der düsteren Ecke. Wir hatten uns jeder ein Bier bestellt, welches kaum zu genießen war. Aber wir brauchten die Gläser; denn an der Flasche wollten wir nicht trinken. Von Zuckerrüben wurde damals weit verbreitet Rübenkraut gemacht. Mein Mutter hat das viel gekocht. Die Zuckerrüben fand man während der Erntezeit am Bahnhof, wo die Landwirte von ihren Schlagkarren aus die Eisenbahnwaggons beluden, oder man klaute die Zuckerrüben vom Feld.

Nochmal zu meiner Tätigkeit auf dem Amt. Ich war überwiegend beim Meldeamt. Ich hatte außerdem die Aufgabe, an Hand der mit von der Polizei zugeleiteten Fahndungslisten gesuchte Personen zu ermitteln. Einmal ist es mir gelungen, einen Bigamisten zu entdecken. Er hatte inzwischen die Tochter einer achtbaren Persönlichkeit aus Bettendorf geheiratet und musste nun hinter Gittern.

Die Nachkriegsjahre waren schlimm. Man musste improvisieren um zu überleben. Selbst im ersten Jahr haben wir keinen Hunger gelitten, weil die Felder nach dem nicht sehr strengen Winter noch etwas hergaben und man auch in Kellern noch das eine oder andere Essbare fand. Im Herbst musste man sich der Diebe erwehren, die die Kartoffel- und Rübenfelder heimsuchten. Deshalb mussten wir eine Zeit lang auf Nachtstreife gehen, bis diese Gefahren beendet waren.
Die Zeit hatte ein Gutes: Man stand eisern zusammen und man half sich gegenseitig.

Fazit zum Weltkrieg:

Das konnte nicht gutgehen…Wir hatten unsere Truppen fast in ganz Europa im Einsatz, nicht nur bei den Kämpfen, sondern auch anschließend als Besatzung. So viele Menschen hatten wir gar nicht zur Verfügung.

Der 2. Weltkrieg hat weltweit 70.000.000 Kriegstote gebracht. Die Sowjetunion war mit 24 Mio. am stärksten betroffen, wir mit 7.700.000.
Meine Meinung damals: Die Welt hat durch diesen Krieg erfahren, welche Schrecken mit ihm verbunden sind. Es wird wohl der letzte Krieg gewesen sein… Aber wie wir alle wissen, kam es anders. Bislang gab es über 200 Kriege, Gott sei Dank alle weit weg.
Unser kleines Schleiden hatte 31 Kriegstote zu beklagen und mit 30 Ziviltoten die weitaus größte Zahl der Kriegsopfer unter den Landgemeinden.

Aber der Ukrainekrieg und der Palästinakrieg gehen uns doch unter die Haut. Der Krieg ist näher gerückt. Und Boris Pistorius fordert, die Bundeswehr „kriegstauglich“ zu machen. „Verteidigungstauglich“ hätte ich noch verstehen können. Und das Geschwader Boelke ist von Nörvenich nach Rumänien verlegt worden.

Das Ganze gibt mir doch zu denken. Ich bin froh, dass ich so alt bin.